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Was bedeutet queersensible Pflege / Alltagshilfe in Berlin konkret?


Ein Leitfaden für Pflegeempfangende, An- und Zugehörige und Einrichtungen in Berlin



Pflege ist mehr als körperliche Versorgung – sie ist immer auch Beziehung, Kommunikation und Respekt. Für viele Menschen ist das selbstverständlich. Doch für LSBTIQ*-Pflegeempfangende und ihre An- und Zugehörigen bedeutet Pflege häufig auch: Unsicherheit, Diskriminierungserfahrungen und die Angst, nicht so angenommen zu werden, wie man ist.


Queersensible Pflege setzt genau hier an: Sie achtet auf die Lebensrealitäten von LSBTIQ*-Menschen und schafft einen Raum, in dem Vielfalt selbstverständlich ist.




1. Respekt für unterschiedliche Lebensweisen



Queersensible Pflege heißt: Pflegekräfte, Alltagshilfen und Einrichtungen erkennen an, dass es unterschiedliche Lebensmodelle gibt. Dazu gehören:


  • Pflege durch Wahlfamilien statt durch klassische Angehörige,

  • gleichgeschlechtliche Partnerschaften,

  • Transidentität oder nicht-binäre Identitäten,

  • biografische Erfahrungen von Diskriminierung, Coming-out oder HIV.



Es geht darum, diese Realitäten nicht nur zu „tolerieren“, sondern aktiv in die Pflege einzubeziehen.




2. Sprache und Kommunikation



Sprache ist zentral: Die richtige Ansprache (Name, Pronomen) schafft Vertrauen. Pflegende sollten nachfragen, statt zu vermuten. Auch Formulare und Abläufe müssen inklusiv sein – etwa indem neben „Ehepartner:in“ auch „Lebenspartner:in“ oder „Angehörige:r der Wahlfamilie“ auftaucht.




3. Schutz vor Diskriminierung



Viele ältere LSBTIQ*-Pflegeempfangende haben in ihrem Leben Diskriminierung erfahren. Diese Erfahrungen prägen, wie sicher sie sich in einer Pflegesituation fühlen. Queersensible Pflege bedeutet deshalb:


  • Diskriminierung durch Personal oder Mitbewohner:innen klar benennen und verhindern,

  • interne Schulungen für Pflegende anbieten,

  • Räume schaffen, in denen sich Menschen nicht verstellen müssen.


Zwei Männer im Freien lächelnd. Einer macht ein Selfie, der andere hat graues Haar. Im Hintergrund grüne Wiese und sitzende Personen.


4. Historische Erfahrungen queerer Menschen und ihre Bedeutung für die Pflege



Wer heute queersensible Pflege anbietet, muss die Geschichte queerer Menschen mitdenken. Viele Pflegeempfangende, die jetzt alt sind, haben ihr Coming-out in den 70er-, 80er- oder 90er-Jahren erlebt – Jahrzehnte, die von Unsichtbarkeit, Kämpfen, aber auch von lebendigen Kultur- und Begegnungsorten geprägt waren.


  • Bis 1969/1994: Homosexualität war nach §175 strafbar. Viele schwule Männer und queere Menschen lebten jahrzehntelang mit Angst vor Entdeckung.

  • Die 70er Jahre: Erste Befreiungsbewegungen, Gründung von Schwulen- und Lesbengruppen, erste queere Zentren in West-Berlin.

  • Die 80er Jahre: Die AIDS-Krise prägte eine ganze Generation. Wahlfamilien übernahmen oft die Pflege, weil biologische Familien sich abwandten. Solidarität war überlebenswichtig.

  • Die 90er Jahre: Mehr Sichtbarkeit, Gründung von Vereinen wie RUT – Rat und Tat e.V. oder dem Sonntags-Club. Gleichzeitig mussten trans Personen mit massiven Hürden beim Transsexuellengesetz kämpfen.



👉 Diese Erfahrungen wirken bis heute:


  • Viele ältere LSBTIQ*-Pflegeempfangende haben gelernt, vorsichtig zu sein und sich zu verstecken.

  • Für schwule Männer ist die Erinnerung an die AIDS-Krise präsent – Pflege kann alte Traumata wecken.

  • Trans Personen erleben bis heute Unsicherheit in der Pflege, von falschen Pronomen bis zu Unwissen über ihre medizinische Vorgeschichte.



Queersensible Pflege bedeutet deshalb: Respekt vor dieser Geschichte und Anerkennung des Lebenswegs.




📌 Infobox: Historische queere Orte in Berlin – und ihre Bedeutung für Pflegeempfangende



Viele LSBTIQ*-Pflegeempfangende, die heute auf Unterstützung angewiesen sind, haben ihre Identität in den queeren Räumen der 70er- und 80er-Jahre gefunden. Diese Orte waren Heimat, Schutzraum und politisches Zentrum – Erfahrungen, die bis heute prägen.


1970er Jahre


  • Anderes Ufer (Schöneberg, 1974 eröffnet): Erstes schwules Café Europas, Treffpunkt für Aktivist:innen, Intellektuelle, Künstler:innen.

  • Eldorado (Motzstraße): Neuauflage des legendären Cabarets aus den 1920er-Jahren, Symbol queerer Geschichte.

  • Café Rosa (Kreuzberg): Lesbisches Lesecafé, Herzstück der Frauenbewegung.

  • Bahnhof Zoo & Tiergarten: Informelle Treffpunkte, wichtig für schwule Männer, aber von Unsicherheit geprägt.



1980er Jahre


  • Metropol (Nollendorfplatz): Eine der größten Discos Europas, Ikone der West-Berliner Szene.

  • Scheune (Motzstraße 7): Darkroom-Bar, zentral für die Leder- und Fetischszene – bis heute existent.

  • SchwuZ (Kulmer Straße, ab 1977): Politisch-kultureller Club für Partys, Lesungen, Theater.

  • Begine (Schöneberg, 1986 gegründet): Lesbenkulturzentrum mit Café, Konzerten und Diskussionen.

  • Eisenherz Buchladen (Motzstraße, seit 1978): Schwuler Buchladen mit Lesungen und Debatten – bis heute aktiv.

  • Café Mauerspecht (Kreuzberg): Politisch-queeres Café mit lesbischem Schwerpunkt.



👉 Warum wichtig für die Pflege?

Diese Orte prägten Biografien. Wer heute queersensibel pflegt, sollte verstehen: Viele Pflegeempfangende haben in diesen Räumen Gemeinschaft, Freiheit – und manchmal auch ihr Überleben – gefunden.




5. Alltagshilfe queersensibel denken



Gerade im Alltag zeigt sich, ob Pflege queersensibel ist:


  • Fühle ich mich frei, Fotos meiner Partner:innen oder Wahlfamilie in der Wohnung stehen zu lassen?

  • Wird respektiert, dass Freund:innen genauso wichtig sind wie Verwandte?

  • Werden queere Orte in Berlin als selbstverständliche Teile der Lebenswelt gesehen – gerade auch für ältere Menschen?



👉 Beispiele aus Berlin:


  • „2. Halbzeit“ im Sonntags-Club – eine Gruppe älterer schwuler Männer, die gemeinsame Ausflüge, Kulturabende oder Kinoabende organisieren. Viele beschreiben die Gruppe als neue Wahlfamilie.

  • RuT – Rad und Tat e.V. – bietet ein monatliches Lesbencafé sowie den Besuchsdienst „Zeit für dich“. Für viele Frauen* bedeutet das: rauskommen, Freundschaften pflegen, gemeinsam Neues ausprobieren – von Workshops bis hin zu kulturellen Ausflügen.

  • Mann-O-Meter – schwuler Checkpoint am Nollendorfplatz mit Freizeitgruppen für Männer 50+, darunter die „Montagsspieler“ oder die „Nachtschwärmer“, die gemeinsam Theater, Lesungen oder Kneipen besuchen.

  • Begine – Kulturzentrum für Frauen* mit generationenübergreifenden Angeboten wie Literaturrunden oder dem „Fossi-Treff“.

  • Schwulenberatung Berlin – mit Gesprächskreisen wie „Anders Altern“ oder dem Besuchsdienst „Mobiler Salon“ für Menschen, die nicht mehr so mobil sind.

  • Sportverein Vorspiel SSL Berlin – bietet mit der Gruppe „Rostfrei“ Sportangebote für ältere LSBTIQ*-Menschen.



Diese Beispiele zeigen: Queersensible Alltagshilfe bedeutet auch, den Zugang zu solchen Angeboten zu fördern – sei es durch Begleitung, Information oder einfach durch Ermutigung, wieder Teil einer Community zu sein.




6. Queersensible Pflege in Berlin – Beispiele



Berlin hat eine besondere Rolle: Hier gibt es bereits einige Initiativen und Einrichtungen, die queersensible Pflege leben oder wo ihr Informationen und Literatur findet:


  • Schwulenberatung Berlin – Fachstelle LSBTI*, Altern und Pflege: Beratung, Wohnprojekte und Pflegeangebote für LSBTIQ*-Menschen.

  • RUT – Rat und Tat e.V.: Lesbenkulturzentrum mit Beratung und Treffpunkt, speziell für ältere lesbische und queere Frauen*.

  • Eisenherz Buchladen: Wichtiger kultureller Ort, Treffpunkt mit Veranstaltungen und Lesungen.

  • Begine: Kulturzentrum von und für Frauen*, mit einem langen Fokus auf Lesben- und Queerekultur.

  • AlleFarben Alltagshilfe: Alltagsunterstützung und Pflegeberatung, die Vielfalt als Selbstverständlichkeit versteht und queersensible Pflege aktiv anbietet.




7. Was An- und Zugehörige tun können



Auch Wahlfamilien und Angehörige können für queersensible Pflege sorgen, indem sie:


  • gezielt nach queersensiblen Pflegediensten fragen,

  • die Bedürfnisse ihrer Freund:innen oder Partner:innen klar benennen,

  • bei Diskriminierung aktiv Unterstützung einfordern.





Fazit: Queersensible Pflege ist Vielfalt mit Respekt



Queersensible Pflege bedeutet, LSBTIQ*-Lebensrealitäten nicht nur mitzudenken, sondern ins Zentrum zu stellen. Es geht darum, dass Pflegeempfangende frei leben können – ohne Angst, ohne Verstellung.


Berlin hat hier schon wichtige Strukturen geschaffen. Doch entscheidend ist, dass Pflegende, An- und Zugehörige und Institutionen gemeinsam Verantwortung übernehmen. Denn Pflege ist dann gut, wenn sie Vielfalt nicht nur akzeptiert, sondern feiert.


👉 Mehr zu unseren Angeboten findest du in der Pflegeberatung (§ 7a), bei den Alltagshilfe-Leistungen oder direkt über unsere Kontaktseite.



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